Wie ist eine barrierefreie Anwendung definiert? Oder anders; wie kann ich sicherstellen, dass meine Anwendung barrierefrei ist?
Ganz sicher lässt sich das wohl nie sagen und vermutlich gibt es auch keine 100% barrierefreien Anwendungen. Was es aber gibt sind Richtlinien, an denen Barrierefreiheit bemessen werden kann.
WCAG – Web Content Accessibility Guidelines
Die Web Content Accessibility Guidelines gibt es in inzwischen in der Version 2.2. Eine lange Liste von Kriterien, die erfüllt sein müssen, um als barrierefrei eingestuft werden zu können. Die Kriterien sind in vier Kategorien eingeteilt. Wahrnehmbar, Bedienbar, Verständlich und Robust.
Wahrnehmbar
Eine Wahrnehmbare Anwendung bedeutet, dass sämtliche Inhalte, Informationen und Funktionen von jedem wahrgenommen werden können. Also unabhängig von einer Fehlsichtigkeit oder sogar kompletter Blindheit.
Hierbei geht es vor allem darum, Informationen klar zu strukturieren und textuell zu verpacken, aber auch den bewussten Einsatz von Farben und Kontrasten. Denn auch ein Zustand, wie ein aktiver Link, ist eine wahrnehmbare Information.
Bedienbar
Eine Anwendung ist dann bedienbar, wenn unabhängig von der Eingabemethode sämtliche Informationen und Funktionen zur Verfügung stehen. Hier existieren die Tastatur, Joysticks, Strohhalme und Touch-Bildschirme. Stellvertretend kann man sich darauf konzentrieren, dass die Anwendung komplett per Tastatur bedienbar ist.
Es lohnt sich, hierfür die geläufigsten Tastenkürzel und Input-Steuerung zu lernen. Gesten und Touch sind dadurch nicht verboten, es müssen allerdings Alternativen angeboten werden, die per Tastatur steuerbar sind.
Verständlich
Eine Anwendung ist zum einen dann verständlich, wenn die Texte klar formuliert sind, aber auch wenn ersichtlich ist, welche Funktionen gewisse Schaltflächen auslösen. Oder welche Bedeutung sich hinter Links, Bildern und Icons versteckt. Was für den einen selbstverständlich ist, braucht für den anderen ggf. eine zusätzliche Erklärung.
Robust
Eine robuste Anwendung funktioniert auf möglichst vielen Geräten, mit möglichst vielen Auflösungen und Ausrichtungen. Hier spielt sehr viel das responsive Design rein, es geht aber auch darum, auf Layout-Anpassungen wie eine größere Schriftart oder größeren Zeilenabstand reagieren zu können.
Werkzeuge
Natürlich gibt es eine ganze Bandbreite von Werkzeugen, um die Barrierefreiheit zu überprüfen. Diese sind genau das: Werkzeuge. Die Ergebnisse müssen immer noch verstanden und interpretiert werden und können niemals 100 %ige Barrierefreiheit gewährleisten.
Trotzdem sind sie ein guter Anfangspunkt, um der eigenen Anwendung auf den Zahn zu fühlen und eine Zahl an das Ganze zu schreiben, die sich verbessern lässt.
Lighthouse
Lighthouse ist eine Browser-Extension, die in allen Chromium-Basierten Browsern verfügbar ist. Mit einem Scan auf „Barrierefreiheit“ wird die Seite analysiert und gefundene Verstöße und Optimierungspotenzial aufgezeigt.
WAVE
Das Web Accessibility Evaluation Tool nimmt die URL der zu prüfenden Seite entgegen und analysiert diese. Es werden positive Findings, Verfehlungen und Warnungen aufgezeigt.
Dieses Tool funktioniert nur für Anwendungen, die per URL aus dem Internet erreichbar sind (also nicht für lokale Entwicklung).
Easy Check
Besser als Tools ist immer der menschliche Test. Am besten lässt man eingeschränkte Menschen die Seite probeweise benutzen, als erste Annäherung kann man aber auch die gängigen Barrieren technisch nachvollziehen.
- Über die Entwicklertools kann die Farbe auf Schwarz-Weiß gestellt werden, um so eine Farbfehlsichtigkeit zu emulieren.
- Per Strg + V oder Anpassung der Systemeinstellung kann ein größerer oder kleinerer Zoom eingestellt werden (mindestens 200% Zoom testen).
- Anwendungen müssen nicht nur auf den Desktop-Geräten laufen, auf denen sie entwickelt werden, sondern auch auf Mobilgeräten. Und zwar sowohl im Portrait, als auch im Landschaftsmodus.
- Die Funktionalitäten sollten komplett per Tastatur bedienbar sein. Also ohne Gesten oder die Maus zur Hilfe zu nehmen.
- Wer sich schon einmal daran wagt kann einen Screenreader starten und sich die Seiten vorlesen lassen. Werden alle Inhalte vorgelesen? Gibt es viele unsichtbare Elemente, die unnötigerweise mit vorgelesen werden?
Mit diesen Tools und einer manuellen Prüfung hat man noch keine offizielle WCAG-Abnahme geschafft, aber ein gutes, erstes Gefühl dafür, wie barrierefrei die eigene Anwendung ungefähr ist.
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